Kopf­stand­me­thode

Diese Tech­nik zählt zu mei­nen bevor­zug­ten Krea­tiv­tech­ni­ken. Immer, wenn ich beim Opti­mie­ren einer Tech­nik oder einer Rou­tine nicht so recht wei­ter komme, wende ich diese Tech­nik an.

Als ich diese Methode bei mei­ner Vor­trags­reihe über Krea­ti­vi­tät vor­stellte, setzte nach der obli­ga­to­ri­schen Denk­pause unwei­ger­lich Geläch­ter im Saal ein. Kein Wun­der, denn diese Methode ist schon etwas außer­ge­wöhn­lich und vor allem gewöhnungsbedürftig.

Nor­ma­ler­weise ist die Vor­ge­hens­weise beim Opti­mie­ren fol­gende: Man erkennt ein Pro­blem, das gelöst wer­den muss. Also stellt man sich (oder sei­nem Krea­tiv­team) die Frage: „Wie kön­nen wir XY ver­bes­sern?“ Eine legi­time und logi­sche Frage. Nun set­zen sich die Leute hin und ver­su­chen, bes­sere Lösun­gen zu fin­den. In den meis­ten Fir­men wird diese Her­an­ge­hens­weise an Pro­blem­lö­sun­gen so betrie­ben. Meis­tens kommt dabei aber lei­der nicht allzu viel her­aus, weil man doch immer wie­der befan­gen ist und die ein­ge­tre­te­nen Denk­pfade nicht ver­las­sen kann.

Genau darum geht es bei der Kopf­stand­me­thode: die ein­ge­fah­re­nen Denk­bah­nen zu ver­las­sen. Um das zu errei­chen, wird ein­fach nur die Frage gegen­tei­lig for­mu­liert. Ich frage also nicht mehr, was ich „bes­ser machen kann“, son­dern die Frage lau­tet: „Was kann ich tun, dass mein Pro­dukt XY schlech­ter wird?“

An die­ser Stelle setzte immer das Geläch­ter ein und ich blickte in ungläu­bige Gesich­ter. Bis ich dann anhand einer „Wild Coin Rou­tine“ die­ses Kon­zept der Ideen­fin­dung prak­tisch demonstrierte.

Der Hin­ter­grund hier ist, dass man durch die gegen­sätz­li­che For­mu­lie­rung der Frage (die Frage wird sozu­sa­gen „auf den Kopf gestellt“, daher auch der Titel der Methode) auch seine Sicht­weise auf das Pro­blem umkehrt. Man schaut sich die Pro­ble­ma­tik von einer ganz ande­ren Seite an.

Zurück zum prak­ti­schen Bei­spiel mit der „Wild Coin Rou­tine“. Im Vor­trag ver­wen­dete ich drei Sil­ber­mün­zen und eine Kup­fer­münze, sowie eine Tasse. Der ursprüng­li­che Effekt war, dass die Sil­ber­mün­zen sich eine nach der ande­ren in eine Kup­fer­münze ver­wan­del­ten. Jede Münze wurde nach der Ver­wand­lung in die Tasse gewor­fen. Als Über­ra­schung wur­den zum Schluss die Mün­zen aus der Tasse wie­der auf den Tisch gekippt und es zeigte sich, dass alles wie­der Sil­ber­mün­zen waren.

Soweit der klas­si­sche Effekt der „Wild Coin“, der ja durch David Roth bekannt gemacht wurde. Tech­nisch gese­hen habe ich bei jeder Ver­wand­lung mei­nen „Gae­lic Switch“ ver­wen­det. Natür­lich könnte man auch andere Griffe ein­set­zen, die den „Spell­bound Effekt“ erzeugen.

Nun zum Pro­blem, das es zu lösen galt. Im Laufe der Jahre habe ich fest­ge­stellt, dass die Zuschauer beim klas­si­schen „Spell­bound Effekt“ (also der Ver­wand­lung einer Kup­fer­münze in eine Sil­ber­münze) immer wie­der fol­gen­des sag­ten: „Das ist ja ganz schön, und ich habe nicht gese­hen, wie Sie die bei­den Mün­zen ver­tauscht haben!“ Eine nie­der­schmet­ternde Aus­sage, denn dadurch war mir klar, dass die Zuschauer nicht getäuscht wur­den, egal wel­che tol­len Griffe ich auch machte. Wahr­schein­lich liegt das daran, dass die Zuschauer ja nicht dumm sind und wis­sen, dass sich eine Sil­ber­münze nicht wirk­lich in eine Kup­fer­münze ver­wan­deln kann. Für die Zuschauer war also klar, dass zwei Mün­zen im Spiel waren und sie konn­ten ledig­lich nicht den Moment des Aus­tau­sches erken­nen! Für mich war klar, dass der Effekt so nicht geht und dass man da etwas ver­bes­sern musste. Dabei habe ich die Kopf­stand­me­thode eingesetzt.

Wäre ich jetzt nach der klas­si­schen Methode vor­ge­gan­gen, dann hätte ich mir die Frage gestellt, wie man den Aus­tausch der Mün­zen wei­ter ver­bes­sern kann. Unwei­ger­lich hätte das in einer „Griff­or­gie“ geen­det, ich hätte also nur ver­sucht, die Griffe bei der Ver­wand­lung zu opti­mie­ren. Was aber wei­ter­hin nichts an dem eigent­li­chen Kern­pro­blem ver­än­dert hätte.

Die klas­si­sche Fra­ge­stel­lung wäre also gewe­sen: „Was könnte ich ver­bes­sern, dass die Zuschauer den Aus­tausch nicht mehr wahr­neh­men?“ Wie gesagt, das führte mich nicht wei­ter. Also die Kopf­stand­me­thode. Hier stelle ich mir die fol­gende Frage: „Was kann ich tun, damit der Aus­tausch rich­tig schlecht wird?“

Anfangs tut man sich viel­leicht etwas schwer damit, die Frage der­art zu for­mu­lie­ren. Aber du wirst gleich sehen, wie wir­kungs­voll diese Fra­ge­stel­lung ist und wie sie die Denk­bah­nen verändert.

Nun habe ich mir eine Kup­fer- und eine Sil­ber­münze genom­men und mich hin­ge­setzt und über­legt, wie man den Effekt „rich­tig schlecht” machen kann. Natür­lich ging es nicht darum, die Griffe der­art schlam­pig zu machen, dass ein Blin­der sie sehen könnte. Das war nicht das Ziel, denn das würde auch keine Ver­bes­se­rung dar­stel­len. Viel­mehr ging es darum, was man tun könnte, damit der Aus­tausch und damit der eigent­li­che Effekt der Ver­wand­lung für die Zuschauer „schlecht” wird.

Es dau­erte nicht lange, bis ich auf die Idee kam, den Aus­tausch mit zwei glei­chen Mün­zen aus­zu­füh­ren! Ich weiß, es klingt voll­kom­men ver­rückt, es ist aber genau das, was mich wei­ter gebracht hat. Ich nahm also zwei glei­che Mün­zen und führte den Aus­tausch aus. Der Effekt war, dass in den Augen der Zuschauer nichts zu sehen ist (der Austausch­griff ist ja gut) und somit der Effekt „rich­tig schlecht” ist! Schlech­ter, als dass ein Zuschauer keine Ver­wand­lung mehr wahr­nimmt, kann man einen Effekt gar nicht mehr gestal­ten! Und genau diese Erkennt­nis brachte mich auf die neue Denk­bahn. Ich fragte mich näm­lich, was ich denn aus die­ser Situa­tion her­aus für einen Effekt gestal­ten könnte …

Da dau­erte es auch nicht lange, bis mir klar wurde, dass man viel­leicht etwas an der Struk­tur der bei­den Mün­zen ver­än­dern müsste. Da unter­schied­li­che Farbe nicht in Frage kam, ging es also um die Beschaf­fen­heit. Die Münze könnte also grö­ßer wer­den, klei­ner, sich in der Form ver­zer­ren, usw. Der letzte Punkt der ver­zerr­ten Form war der interessanteste.

Eine wei­tere Form der „Ver­zer­rung” ist eine ver­bo­gene Münze und damit hatte ich einen „neuen” Effekt kre­iert! Ich nahm also eine (leicht) ver­bo­gene Münze und eine nor­male Münze und führte den Aus­tausch­griff durch – und siehe da: Es ent­stand eine nette Rou­tine, bei der sich drei Mün­zen auf geheim­nis­volle Art und Weise ver­bie­gen. Zuge­ge­ben, ich habe diese Rou­tine eigent­lich nur als „Etüde” zum Üben des Mün­zen­aus­tau­sches kon­zi­piert, aber ich stellte fest, dass sie erstaun­lich gut bei den Zuschau­ern ankommt. Da kann man mal wie­der sehen, dass sich doch nicht alles vor­her kal­ku­lie­ren oder abschät­zen läßt.